Dienstag, 14. August 2012

The Wire - Staffel 3 (HBO/Warner Home Entertainment)


Es kommt ja immer mal wieder vor, dass Kunstwerke erst Jahre nach ihrer Veröffentlichung den verdienten Ruhm einheimsen. Im Falle der TV-Serie The Wire ist die verspätete Euphorie aber besonders beachtlich: Obwohl die Produktion in den USA erstmals 2002 über den Pay-TV-Sender HBO flimmerte, waren die Einschaltquoten zunächst bescheiden - und es dauerte einige Zeit, bis Zeitungen wie etwa die New York Times zu ihren Lobpreisungen ausholten und von der "besten Serie seit Jahrzehnten" sprachen. In Deutschland - dem Land, das bekannt dafür ist, auch die besten US-TV-Serien (man denke an Sopranos, Six Feet Under und unzählige mehr) wenn überhaupt nur auf schlechten Sendeplätzen auszustrahlen und viel zu früh wieder abzusetzen - interessierte sich zunächst keiner für die fünf Staffeln. Erst in den letzten Jahren - und damit lange nach Abschluss der Serie im Jahr 2008 - starteten die Lobes-Hymnen, und The Wire wurde (nicht unverdient) von mehreren deutschen Medien gar als "beste TV-Serie aller Zeiten" bezeichnet.

Autor von The Wire ist David Simon, der zunächst jahrelang als Polizeireporter der “Baltimore Sun” arbeitete und so einen Einblick in die sozialen Probleme, Drogen-Kriege und die Polizeiarbeit von Baltimore bekam, was dann später die Grundlage für die TV-Serie bilden sollte. Unter dem Namen "Homicide" veröffentlichte er auch ein Buch über diese Eindrücke - ein umfangreicher, desillusionierender und gewalttätiger, aber auch ungemein lesenswerter und fesseldner 600-Seiten-Koloss. Für das Skript von The Wire nutze er dann diese Eindrücke und Erfahrungen, um die aktuelle Geschichte der Stadt Baltimore zu erzählen - von den Konflikten der Drogen-Gangs untereinander, dem verzweifgelten Versuch der Polizei, dagegen anzukämpfen, den sozialen Problemen und der hoffnungslosen Lage unzähliger Bewohner, dem korrupten Politik-Betrieb und so vielem mehr, das sich in wenigen Worten kaum beschreiben lässt.

Die ungemeine Stärke der Serie ist ihr hoher Realismus gepaart mit den detaillierten, nie stereotypen Charakterzeichnungen. Über die Folgen wachsem einem die unterschiedlichsten Protagonisten ans Herz - egal ob sie Polizisten, Dealer oder Strippenzieger im Hintergrund sind. Keine Person ist eindeutig gut oder böse, die Handlungsabläufe sind kompliziert - vor allem in den ersten beiden Staffeln dauert es einige Zeit, bis man durchschaut, wer welche Ziele verfolgt und in welchem Zusammenhang er zum Rest steht. The Wire ist damit auch eine Herausforderung an den Zuschauer - weil er jederzeit aufmerksam bleiben muss. Eine einzelne Folge auszulassen ist unmöglich - da zu viel passiert, um hinterher noch den Anschluss zu bekommen.

Jede der fünf Staffeln hat einen eigenen Schwerpunkt - so geht es in Staffel 1 erstmals um den namensgebenden "The Wire" - also den Draht, mit dem die Telefone der Dealer angezapft werden soll. Staffel 2 spielt sich im Hafen von Baltimore ab, Staffel 3 (die jetzt endlich auch in Deutschland erschienen ist) fokussiert sich wieder auf den Drogen-Handel und den Politik-Betrieb Baltimores. Um die Serie wirklich verstehen zu können empfiehlt es sich aber trotz eigener Schwerpunkte dringend, mit der ersten Staffel zu beginnen - wer direkt in Staffel 3 einsteigt, wird auf Grund zu vieler Anspielungen an die vorherigen Ereignisse vieles nicht verstehen.

Apropos nicht verstehen: Die deutsche Synchronisation ist grundsätzlich gelungen - auch wenn natürlich vor allem der Slang in den Sozialbauten Baltimores nicht ohne weiteres übersetzt werden kann. Es empfiehlt sich also, am besten doch die Original-Version zu schauen - und die Untertitel zu aktivieren, um eine Chance zu haben möglichst viel zu verstehen.

Staffeln 4 und 5 sollen vor Jahresende ebenfalls noch in Deutschland erscheinen, zudem ist bei uns jetzt auch der Soundtrack erhältlich - für Fans der Serie eine willkommene Ergänzung, da The Wire zwar nur wenig Raum für Musik lässt, diese Stücke (etwa das grandiose Titelthema “Way Down in the Hole” von Tom Waits) aber eine umso zentralere Bedeutung haben.

Wer also auch nur ansatzweise ein Herz für intelligente TV-Unterhaltung hat, darf dem aktuellen "Hype" durchaus glauben: The Wire ist ebenso vertrackt, gewalttätig und deprimierend wie spannend und faszinierend und gehört wirklich zum besten, womit man seinen DVD-Player füttern kann. Und im Gegensatz zu so vielen anderen Serien nimmt die Qualität über die einzelnen Staffeln auch nicht ab, im Gegenteil, die letzten beiden Staffeln übertrumpfen den Anfang sogar noch - wer erst einmal die ersten drei Staffeln gesehen hat, sollte sich auf September und die deutsche Erstveröffentlichung der tatsächlich noch grandioseren Staffel 4 ganz besonders freuen.